Gedanken zur historischen Darstellung, die Zweite. Oder: Grenzen der Authentizität

Eine der unzähligen Diskussionen über das große „A“ in der Mittelalter-Darstellung hat mich einmal mehr ins Grübeln gebracht. Konkret ging es dieses Mal um den Bodenbelag in den Zelten, die für Besucher offen stehen. Da fragte jemand, der sich ein neues Speichenradzelt zugelegt hatte, ob denn jemand Erfahrungen mit Teichfolie als Bodenbelag habe. Ich antwortete: ja, wir haben eine direkt unter unserer Strohmatratze, und zählte Vor- und Nachteile auf. Die erste Reaktion des Fragenden war: dann bleiben wir doch lieber bei der Plane. Danach aber ging es richtig los, denn weder Teichfolie noch PU-Planen gab es im Mittelalter, und die Forums-Untergruppe nennt sich „Reenactment und Living History“. Die weitere völlig korrekte Aussage dort war, dass dieses Zeltleben eigentlich genauso wenig „a“ sei und man deshalb eigentlich im Zelt stehen und liegen haben kann, was man will – ist eh alles Gromi. Eine weitere Aussage, über die ich mich ziemlich ärgerte war, wer nicht auf dem Boden schlafen will muss eben ein Bett ins Zelt stellen. Da wir in unserem kleinen Zelt beim besten Willen kein Bett stellen können, wären wir korrekterweise nach einem Unwetter gezwungen, entweder den Rest der Veranstaltung auf nassem Lager zu schlafen oder abzubauen. Beides kommt für uns vor allem bei weiter entfernten Veranstaltungen nicht in Frage. Eine andere Aussage war, dass man sich ja in der Umgebung einquartieren und die Veranstaltung nur tagsüber besuchen könne. Auch das kommt für uns nicht in Frage, weil wir dann unseren „Film“ nicht fahren können. Für uns gehört eine Übernachtung vor Ort dazu. Denn es gibt Museumsdörfer oder andere historische Stätten, in denen die Darsteller nicht in den Räumen übernachten dürfen. Dies gilt für Düppel genauso wie für das Haus Nienover. Hier bleibt einem nichts anderes als entweder ein Zelt aufzubauen oder auswärts zu schlafen.

Ich sehe mich also gezwungen, unsere Grenzen abzustecken, was „Authentizität“ angeht. Das ist eigentlich recht einfach. Die Grenze ist da, wo es um unsere Einsatzfähigkeit im Berufsleben geht. Wir gehen da relativ weit. Unsere Vorräte werden nur dann in Plastik oder Glas gepackt, wenn wir nicht sicherstellen können, dass der Inhalt nicht während der Fahrt umkippt und uns das Auto versaut (ja doch, wir fahren mit dem Auto und nicht mit dem Ochsenkarren). Alles andere ist in Leinenbeuteln oder Tongefäßen drinnen. Wir kochen mit Kochkeramik und in einem genieteten Eisentopf, der nie so 100%ig sauber ist. Überhaupt ist unser Geschirr während der Veranstaltung nicht komplett sauber, weil wir kein „Spüli“ einsetzen. Wir gehen auf Veranstaltungen nicht täglich duschen, allenfalls mal zubern. In unserem Zelt sieht es spätestens ab dem 3. Tag – abhängig vom Wetter – nicht mehr wirklich sauber aus, dasselbe gilt für Kleider, Strümpfe und Schuhe.
Die Grenze wird überschritten, wenn uns das Zeltinnere absäuft und wir ab dann nicht mehr trocken schlafen können. Deshalb die Teichfolie direkt unter der Schlafstelle, die Folie ist etwas größer und wird im Notfall herausgeklappt, so dass auch keine Feuchtigkeit von außen oder von der Zeltwand (Leinenzelt) an die (Leinen-)Matratze kommt. Bei normalen Wetterbedingungen ist die Teichfolie völlig von der Matratze verdeckt.
Die Grenze wird überschritten bei meiner starken Kurzsichtigkeit, die ich mit Kontaktlinsen korrigiere. Ohne Sehhilfe wäre ich auf fremde Hilfe angewiesen, ich könnte nicht kochen.
Die Grenze wird überschritten bei Veranstaltungen, bei denen wir aus irgendwelchen Gründen nicht ausreichend schlafen können. Üblicherweise gehen wir auf die nächste gleichartige Veranstaltung dann nicht mehr.
Die Grenze wird überschritten bei Vorschriften seitens des Veranstalters, der uns einen Feuerlöscher im Zelt vorschreibt, oder zumindest einen im Lager, wenn wir mit anderen Leuten zusammen lagern.

Also können wir über uns behaupten, dass wir bei unserer Darstellung ein hohes Niveau erreicht haben, aber unsere selbst gesteckten Grenzen es verhindern, wirklich in den Kreis der echten Authentiker aufgenommen zu werden. Ich glaube, damit werden wir leben müssen. Ich glaube auch, dass wir damit leben können.