Tempus – Zeit erleben, Rittergut Dorstadt (Juni 2011)

Wir hatten von der IG Wolf das Angebot bekommen, nach Dorstadt mitzukommen und bei ihnen im Lager „unterzuschlüpfen“.
Nachdem Günter zeitgleich eine Tagung im gar nicht so weit entfernten Großraum Detmold hatte, entschloss ich mich, alleine teilzunehmen.
Und so ging es Mittwochs zuerst nach Heidelberg, wo ich eine weitere Susanne einsammelte, und dann auf die weite Fahrt ins Braunschweiger Land.
Die Fahrt dorthin war von Stuttgart bis weit hinter Kassel von Staus und stockendem Verkehr geprägt, so dass wir schließlich und endlich nach 18 Uhr auf dem Gelände einrollten und uns dort trotz der Wegbeschreibung durch die sehr nette Orga erst mal auf dem weitläufigen Gelände verirrten. Grund war, dass die entscheidende Durchfahrt (ein Tor in einen Innenhof) durch einen dicken Pickup versperrt war und wir deshalb dachten, dass wir woanders durchfahren müssten.
Als wir dann mithilfe von Klaus‘ Unterstützung (und zwischenzeitlich freier Durchfahrt) auf dem Lagerplatz ankamen, war der Rest der Truppe mit dem Ausladen fertig und bereits am Aufbauen. Wir klinkten uns hier gleich ein, und durch die Routine der Wölfe und der doch zahlreichen Leute (an die 20 Personen) stand das Lager trotz der vielen Zelte, eines Sonnensegels, eines Wetterschutzes für die Kochstelle, der Kochstelle selbst und eines Baldachins dann doch recht schnell. Auch die Zelte waren verblüffend schnell eingeräumt, wenn man an die aufwendige Ausstattung der Adelszelte denkt oder an die vielen Kleinigkeiten, die eine Familie mit kleinen Kindern nun mal so braucht.
In der Dämmerung saßen wir dann erstmals zusammen an den Tischen und vesperten.

Lager Wolf
Für mich ungewohnt und daher interessant war die Darstellung eines hochadeligen Reiselagers mit dem entsprechenden Aufwand. Wo Günter und ich mit unserem Kleinstlager, eher spartanischer Ausstattung und Küche unterwegs sind, fehlte es hier sozusagen an nichts. Was damals vermutlich von einer Burg und deren Küche in ein Adelslager geliefert wurde, musste im Wolf-Lager eben improvisiert werden. Das heißt, einige der Luxus-Gerichte, u.a. die Pasteten, wurden vorab zu Hause zubereitet und in Kühlboxen mitgebracht. Dann gab es ein recht großes Vorratszelt, das gut gefüllt war.
Durch die große Anzahl an Teilnehmern war es auch möglich, die Hierarchie eines solchen Lagers einigermaßen darzustellen. So betätigten sich immer mindestens ein Mann und eine Frau als Adelige, während die anderen werkelten.
Ein Programmpunkt war ein Festessen, was sowohl am Donnerstag abend als auch am Samstag vorgeführt wurde. Das bedeutete, ein mehrgängiges Essen mit vielen kleinen und größeren Gerichten und dem ganzen Zeremoniell mit Ansage, Auftischen, musikalischer Begleitung und allem. Damit sich die Zuschauer nicht langweilten, wurde das Essen zeitlich stark abgekürzt. Im Anschluss stiegen die Adeligen wieder in „normale“ Kleidung und dann wurde sich über das Essen hergemacht. Bei der ersten Aktion waren nur wenige Besucher da, weil das Essen erst um 19.00 Uhr im Programm stand, einige Besucher offenbar nicht genau wußten, wo sie hin mussten und vermutlich auch, weil die Programmpunkte generell nicht bei allen Besuchern so ankamen wie gedacht. Daher gingen die Wölfe dazu über, den Besuchern tagsüber vom Abendprogramm zu erzählen, mit der positiven Folge, dass beim zweiten Essen ein Vielfaches mehr an Besuchern zusahen. Diese blieben auch nach dem Essen noch und waren sehr interessiert, was einerseits ja gewünscht war, andererseits wieder eher nicht, weil wir alle Hunger hatten …
Ein weiterer Programmpunkt war die Ritterweihe, die von einem regionalen Fernsehteam mitgefilmt wurde. Die Zeit dazwischen wurde mit Kochen, häufiges Wasserholen (die Eimer waren anfangs noch nicht dicht), Werkeln, Besucherfragen beantworten gut gefüllt. Natürlich schaute man auch in die anderen Lager, zumindest in die der eigenen Zeitinsel.

Die Zeitinseln
In den großen Park des Ritterguts, der durch Wege, einen Bachlauf, mehrere Teiche und natürlich den Wegen schon in mehrere Teile untergliedert ist, wurden die Zeitinseln untergebracht. Diese gingen von der Frühzeit (Steinzeit!) bis zum Ende des 2. Weltkriegs mit den Besatzern und den Einheimischen. Da das Ganze einen regionalen Bezug haben sollte, fehlten verschiedene Darsteller – z.B. gab es keine Wikingergruppen und bei der Neuzeit keine Darsteller der französischen Besatzung – oder die Darsteller hatten selbst einen regionalen Bezug, wie z.B. die Braunschweiger Jäger.
Für die Besucher war der Weg so angelegt, dass sie ihre Zeitreise abwandern konnten. Für uns Darsteller bedeutete dies, dass wir zu Besucherzeiten unsere Zeitinsel nicht verlassen sollten, um das Gesamtbild nicht durcheinander zu bringen. Letzteres funktionierte nicht vollständig, weil sich manche Teilnehmer schlicht nicht daran hielten oder weil man durch das Bedürfnis nach einer „richtigen“ Toilette (anstatt des „Dixi“) eben doch in eines der Gebäude ging.

Eindrücke
… waren deren viele. In Dorstadt kommen Darsteller zusammen, die sich von anderen Veranstaltungen kennen. Manche kannten sich bislang virtuell aus den diversen Internetforen. Und viele kannten sich überhaupt nicht. Es ist eben so, dass die Darsteller einer bestimmten Zeit unter sich bleiben. Man sieht sich allenfalls, wenn die Darsteller einer Zeit als Besucher die Veranstaltung einer anderen Zeit besuchen.
Alleine deshalb ist „Dorstadt“ ein tolles Erlebnis. Mir fielen allenfalls spaßige Rangeleien auf, die Grundstimmung war freundlich und von gegenseitigem Interesse geprägt. Außerhalb der Besucherzeiten gab es lustige zeitübergreifende Aktionen, und abends saß zusammen, wer zusammen sitzen wollte. Es gab auch hier den einen oder anderen Quertreiber, der aber genauso abgefangen wurde wie die phasenweise Überforderung der Orga, die aber eher zu Lasten der Besucher denn der Darsteller ging.
Das Niveau war, soweit ich es beurteilen kann, sehr hoch. Natürlich findet man immer wieder etwas, was einem auffällt, so z.B. ein IKEA-Tischchen und Alex-Zelt in einem Römerlager – das Alexzelt stand fatalerweise gegenüber einem Lederzelt. In der Frühzeit standen mehrere Alex-Zelte. Für die Frühzeit-Darsteller ist es natürlich schwierig, eine passende Unterkunft zu finden, mangels Informationsquellen. Wenn es dem Besucher entsprechend vermittelt wird, ist das für mich in Ordnung.
Im Napoleonikerbereich standen mehrere Steckstühle. In diesem Fall bin ich mir nicht sicher, wie damit umzugehen ist. Natürlich war in dieser Zeit Amerika schon entdeckt und die Vereinnahmung durch europäische Siedler im Gange. Die Frage wäre hier, ob es Trapperstühle in ein europäisches Feldlager geschafft hätten? Auf jeden Fall wirkten die Dinger deplaziert.

Resumee:

Trotz der weiten Anfahrt würde ich gerne wieder nach Dorstadt kommen – 2013.

Hinweis zu den Fotos:
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